Der hl. Benedikt,
Fresco,
Der folgende Text wurde in Auszügen entnommen aus:
Die Benediktusregel - lateinisch/deutsch,
hrsg. von der Salzburger Äbtekonferenz,
Beuroner Kunstverl., 1992, S. 40-47.
Einleitung/Zur Spiritualität der Regula Benedicti (RB), S. 40-47
Der altchristliche Aufruf: „Betet ohne Unterlaß" (1 Thess 5,17) war die große Triebkraft, die das Mönchtum in Bewegung setzte. Bei dem Versuch, das „Betet ohne Unterlaß" zu verwirklichen, hat die christliche Tradition entdeckt, daß es nützlich ist, bestimmte Zeiten festzulegen, die dem Gebet gewidmet sind. Das Gebet zu bestimmten Stunden ist Ausdruck für das unablässige Gebet. Im Zusammenhang mit der altchristlichen Überlieferung hat Benedikt dem Gebet eine feste Ordnung gegeben und verfügt, daß die Mönche den Tag durch gemeinsame Gebetszeiten eröffnen, begleiten und vollenden. Diesem Opus Dei hat Benedikt den Vorrang vor jeder sonstigen Tätigkeit gegeben: „Dem Gottesdienst soll nichts vorgezogen werden" (RB 43,3). Benedikt nennt das gemeinsame Gebet „Opus Dei" und „Opus Divinum" (RB 22,8; 43,10; 58,7; 19,2), weil es um die Anbetung und den Lobpreis Gottes geht, seine Anerkennung durch den Menschen, aber andererseits auch um das Werk Gottes in der Tiefe unseres Herzens, das er durch den Heiligen Geist in uns wirkt.
Es ist das Ziel der RB, den Menschen dahin zu führen, immer in der Gegenwart Gottes zu leben. Deshalb gibt Benedikt den Mönchen die grundlegende Weisung (RB 19,2), im Gebet diesen ersten Schritt zu vollziehen: den ganzen Menschen in die Gegenwart Gottes zu bringen, anwesend zu sein vor seinem Angesicht. Der Glaube an die Gegenwart Gottes ist deshalb Voraussetzung für den „Dienst vor Gott", der die Präsenz des ganzen Menschen erfordert. Es geht um das richtige Sein vor Gott, nicht nur um ein äußeres Verhalten. "Die Übereinstimmung von innen und außen" (RB 19,7) wurde zu einer Zielvorstellung benediktinischer Lebensgestaltung über den Gottesdienst hinaus.
Eine weitere Grundhaltung des Gebetes ist für Benedikt die Ehrfurcht. Sie ist eine den ganzen Menschen erfassende innere Haltung, die sich in der Gebärde, im Gehen, im Stehen, in Verneigungen Ausdruck verschafft und sich auf den Herrn bezieht, der unsichtbar, aber doch real gegenwärtig ist und verehrt wird. Ehrfurcht im Gebet meint die Anerkennung und Anbetung Gottes, der Himmel und Erde geschaffen hat (vgl. RB 20,2). Wesentlich für das Gebet ist bei Benedikt die "Lauterkeit des Herzens". Sie ist ein Freisein von negativen Haltungen, von störenden Gedanken und Vorstellungen; sie ist Offenheit des Herzens, ein Sich-Tragenlassen von der Güte und Schönheit Gottes. Wir finden bei Benedikt keine methodischen Anweisungen für das
kontemplative Gebet, aber einige wichtige Hinweise: „Wenn einer still für sich beten will, trete er einfach ein und bete, nicht mit lauter Stimme, sondern unter Tränen und mit wacher Aufmerksamkeit des Herzens" (RB 52,4). Die "Aufmerksamkeit des Herzens" meint das Ausgespanntsein des inneren Menschen auf Christus hin. Es besagt etwas anderes als Gefühl oder Inbrunst; auch in Dunkelheit und Schmerz ist die Ausrichtung auf Gott hin möglich. Es weist hin auf die volle Aufmerksamkeit, die Intensität der Hinwendung. Diese wenigen Hinweise, die Benedikt zum persönlichen Gebet gibt, bringen zum Ausdruck, dass es um eine lebendige Wechselwirkung zwischen persönlichem und gemeinsamem Gebet geht, die das ganze Leben durchdringen soll.
Die geistliche Lesung ist für die Spiritualität der Regel ein weiteres prägendes Element. Der Ausdruck „lectio divina" ist ein Synonym für die Heilige Schrift, und bezeichnet die Schriftlesung, die nicht nur ein Vorgang des Studiums, sondern eine Form der Meditation ist. Die Schriftlesung, wie sie schon bei den Kirchenvätern geübt wurde, vollzieht sich in drei Schritten: lectio, meditatio, oratio. Der erste Schritt bezieht sich auf das einfache laute Lesen des Textes. Der zweite Schritt, die meditatio, ist eine Ausfaltung und Durchdringung des Textes, eine Art „Wiederkäuen", das den Geschmack an dem, was man gelesen hat, freilegt. So schreibt Smaragdus: „Die Lesung informiert über das, was wir nicht wissen, die Meditation läßt uns die Frucht bewahren" (Diadema monachorum III 102,593). Der dritte Schritt der Schriftlesung ist die oratio; sie ist das eigentliche Ziel der lectio divina. Die oratio ist die Antwort auf das Wort Gottes, die aus der Tiefe des menschlichen Herzens kommt.
Benedikt widmet der lectio divina im Tagesablauf viel Zeit. Er spricht davon, daß die Brüder zu bestimmten Stunden „frei" sein sollen für die Lesung. Dafür gebraucht er das Wort „vacare" - frei sein, leer sein -, das allein im 48. Kapitel sechsmal vorkommt, jeweils in Beziehung zur Lesung. „Frei sein für die Lesung" ist das Gegenteil der Acedia. Benedikt rechnet mit dieser Gefahr der geistlichen Trägheit auch bei seinen Mönchen, und er sorgt dafür, daß die Brüder, die an dieser Mönchskrankheit leiden, auch entsprechende Hilfe erfahren.
Eine weitere Frage besteht darin, was über die Heilige Schrift hinaus Inhalt der lectio divina sein kann. Bei Benedikt finden wir eine große Offenheit. Nachdem der Mönch die Regel kennengelernt und damit einen Anfang im klösterlichen Leben gemacht hat, verweist ihn Benedikt in Kapitel 73 auf die katholischen Väter, die „Collationes Patrum", ihre „Instituta" und „Vitae", aber auch auf die „Regula unseres heiligen Vaters Basilius". Die Regel lässt also nach drei Gesichtspunkten auswählen: dem biblischen, dem monastischen und dem theologischen. Aus dem Hinweis Benedikts im Schlußkapitel seiner Regel, daß jedes Wort der Heiligen Schrift „rectissima norma" sei, spricht die Erfahrung, daß die Begegnung mit dem Wort Gottes in der lectio divina den Menschen prägt und formt und zur „Wegweisung für das menschliche Leben" (RB 73,3) wird. So entsprechen der Epilog und Prolog der Regel einander in der Aussage: „unter der Führung des Evangeliums wollen wir die Wege gehen, die der Herr uns zeigt" (RB Prol 21).
Der Vers „damit in allem Gott verherrlicht werde" ist einer der Grundsätze der Regel, die für die Lebensgestaltung des benediktinischen Mönchtums bis hinein in die Baukunst prägend gewesen ist. Dieser Satz zieht sich wie ein Leitmotiv durch die ganze Regel. „Gott verherrlichen" betrifft nicht nur die Zeiten des Gebetes. Die Anerkennung Gottes soll auch den Alltag prägen und die Arbeit durchdringen.
Die Arbeit stellt für Benedikt im Gegensatz zur antiken Einstellung einen positiven Wert dar, sie hat zudem einen asketischen Sinn. Die Brüder sollen zu bestimmten Stunden mit Handarbeit, zu bestimmten Stunden mit der lectio beschäftigt sein. Benedikt geht es um einen gesunden Ausgleich von Gebet, lectio und Arbeit. „Müßiggang ist der Seele Feind" (RB 48,1). Der Mönch verliert seine geistliche Spannkraft und wird unfähig zu echtem Gebet. Die Arbeit ist in dieser Hinsicht ein Heilmittel gegen die gefährliche Krankheit der
Acedia. Benedikt steht im Strom der monastischen Tradition, wenn er die Zerstreuung überwinden will. Die Bindung in der Arbeit ist kein Gegensatz zur Bindung an Gott, sondern eine Hilfe dazu. „Damit dein Gebet wahrhaftig sei, mußt du in harter Arbeit stehen. Begnügtest du dich mit dilettantischer Lässigkeit, so wärest du unfähig, wirklich Fürbitte zu tun. Dein Gebet findet zur Ganzheit, wenn es eins ist mit deiner Arbeit. Gebet und Arbeit sind für die monastische Tradition nicht zwei unverbundene Schienen, auf denen der Tag dahingleitet. Sie greifen ineinander, sollen sich gegenseitig durchdringen. Augustinus wie auch Basilius sind der Auffassung, dass Psalmen auch während der Arbeit zu singen sind: „Was soll also den Mönch hindern, mit den Händen zu arbeiten und doch über das Gesetz des Herrn nachzusinnen (Ps 1,2) und dem Namen des Höchsten zu lobsingen? Natürlich braucht er freie Zeit, in der er das lernen konnte, was er dann aus dem Gedächtnis wiederholt" (Augustinus, Die Handarbeit der Mönche XVII 20).
Benedikt hat aus der monastischen Tradition heraus wichtige Kriterien für den Umgang mit der Arbeit überliefert. Seine Sorge geht dahin, dass die Brüder ihren Dienst ohne Murren, ohne Traurigkeit und ohne Überforderung tun können. Aber er sorgt auch dafür, dass die Mönche nicht unterfordert sind, sondern dass sie ihre Gaben und Fähigkeiten zur Entfaltung bringen und mit der Arbeit der Hände und des Geistes den Schöpfer preisen, „damit in allem Gott verherrlicht werde".
Benedikt hat ein langes, sorgfältig gestaltetes Kapitel seiner Regel der Aufnahme von Gästen im Kloster gewidmet (RB 53). Gastfreundschaft gewähren ist ein geistliches Geschehen, das mit liturgischem und spirituellem Vokabular gedeutet wird. Das läßt auf den Stellenwert der Gastfreundschaft innerhalb der Regel schließen. Benedikt zeigt eine große Offenheit, die in seiner Zeit nicht selbstverständlich war. Im Verständnis Benedikts kommt in diesem Offensein für die Fremden Christus auf die Gemeinschaft zu.
Benedikt ist in seiner Wertschätzung der Gastfreundschaft geprägt von der Heiligen Schrift. Die Gastfreundschaft Abrahams gegenüber den drei Fremden bei der Eiche von Mamre (Gen 18,1-8) ist das Beispiel schlechthin, auf das die Kirchenväter immer wieder hinweisen und das auch Benedikt inspirierte. Die Gastfreundschaft Abrahams wird in der Verheißung seines Sohnes Isaak zu einem Zeichen des Heiles und findet einen Niederschlag in urchristlichen Gemeinderegeln: „Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt" (Hebr 13,2). „Helft den Heiligen, wenn sie in Not sind; gewährt jederzeit Gastfreundschaft" (Röm 12,13).
Benedikt setzt an den Anfang des 53. Kapitels wie ein Programmwort den Satz aus dem Matthäusevangelium: „Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen" (Mt 25,35). Das „Ich-Sagen"Jesu motiviert Benedikt, sich mit Engagement und Liebe um die Aufnahme von Fremden zu kümmern und seine Mönche für diese Aufgabe zu begeistern. Man darf seine Weisung als „Handlungsmodell" verstehen (A. Böckmann), das heißt diese Verse sollen die innere Haltung dem Gast gegenüber bestimmen. Die ganze Gemeinschaft soll von einer positiven Grundeinstellung erfaßt werden, alle Gäste wie Christus zu empfangen, sie hineinzunehmen in die Gemeinschaft und mit ihnen zu teilen, was man hat. Gastfreundschaft, wie Benedikt sie versteht, hat mit Freundschaft zu tun, das heißt mit Teilen, Geben und Nehmen. Der Fremde bringt etwas Kostbares mit: sich selbst - und darin die Möglichkeit, Christus zu begegnen.
Nach den Vorstellungen Benedikts sollten seine Klöster Orte des Friedens sein inmitten einer friedlosen Welt. In der Regel ist das Bemühen erkennbar, daß der Abt und alle, die Verantwortung tragen, die Voraussetzungen dafür schaffen, daß alle Glieder der Gemeinschaft im Frieden sein können (RB 34,5). Eine der Voraussetzungen für Frieden ist die Gerechtigkeit, wie Benedikt es mit dem Wort aus der Apostelgeschichte ausdrückt: „Jedem wurde so viel zugeteilt, wie er nötig hatte" (Apg 4,35 = RB 34,1). Nicht das Ansehen eines Bruders, sondern die Rücksicht auf die Schwächen soll Maßstab dafür sein, dass alle das Notwendige erhalten und alle im Frieden sein können. Hier wird bei Benedikt gewissermaßen ein Friedensprogramm sichtbar, das erkennen läßt, wie sehr der Friede aus dem Herzen der einzelnen Glieder der Gemeinschaft herauswachsen muß. Wo man sich um diese Einstellung bemüht, dort wird der Friede möglich in der Formung der Gemeinschaft, und dort wird er auch als Gabe weitergeschenkt werden können an alle, die zum Kloster kommen.
Benedikt ist es in dem Bemühen, einen Ort des Friedens zu schaffen, ein Anliegen, die Brüder dahin zu führen, dass sie mit der „Friedensarbeit" bei sich selbst beginnen. Er kennt die Erfahrung, dass Konflikte wie Dornen und Disteln am Wegrand stehen, an denen man sich immer wieder verletzt. Deshalb gibt er die Weisung, dass die Brüder täglich ihre Versöhnungsbereitschaft erneuern sollen: „Die Feier von Laudes und Vesper gehe niemals zu Ende, ohne dass am Schluss der Obere das Gebet des Herrn von Anfang an so spricht, dass alle es hören; denn immer wieder gibt es Ärgernisse, die wie Dornen verletzen. Wenn die Brüder beten und versprechen: Vergib uns, wie auch wir vergeben', sind sie durch dieses Wort gebunden und reinigen sich von solchen Fehlern" (RB 13,12-13).
In Jesus Christus ist uns die Fülle des Friedens als umfassendes Heil schon geschenkt. Er ist eine Gabe Gottes. Diese Gabe wird für uns zur ständigen Aufgabe, Unrecht zu überwinden und zur Versöhnung untereinander beizutragen. In dem Bemühen um den Frieden hat die Gemeinschaft teil an der großen Auseinandersetzung mit dem Bösen. Benedikt verbindet mit dem Frieden deshalb ein sehr aktives Element: „Suche Frieden und jage ihm nach" (RB Prol 17). Dieses Wort, ursprünglich ein Zitat aus Ps 34, steht im Prolog im Zusammenhang mit dem wahren und unvergänglichen Leben. Unrecht vermeiden und das tun, was dem Frieden dient, das gibt dem wahren Leben Raum. Böses meiden und Gutes tun ist nach biblischem Verständnis (Mich 6,8) wesenhaft mit Gerechtigkeit und geschwisterlicher Gesinnung verbunden.
Der Friede ist ein Prozeß, der vieler kleiner Schritte bedarf und zu einer Kultur der Liebe führen will. So sagt Benedikt: „Nach einem Streit noch vor Sonnenuntergang zum Frieden zurückkehren" (RB 4,73). Wenn eine Gemeinschaft von der Gabe und Aufgabe des Friedens geprägt ist, kann etwas von der Sendung der Kirche erfahrbar werden, Zeichen des Friedens unter den Völkern zu sein. Die Pax Benedictina hat über Jahrhunderte das Abendland geprägt und fordert auch heute heraus, nach Wegen zu suchen, damit der Friede das „Werk der Gerechtigkeit werde" (Jes 32,17).