Der Hl. Benedikt mit Regel, Benevent,

11. Jahrhundert,

Rom, Vatikanische Bibliothek

Der folgende Text wurde in Auszügen entnommen aus:

Michaela Puzicha, Kommentar zur Benediktusregel,

hrsg. von der Salzburger Äbtekonferenz,

EOS Verl., St. Ottilien, 2002

darin: Christian Schütz: Grundsätze bei der Abfassung des Regelkommentars,

S. 15-26

Die Benediktusregel ist ein Dokument des 6. Jahrhunderts. Ihren Hintergrund und Bezugspunkt bildet die Klosterlandschaft Mittel- und Süditaliens, vor allem jedoch Südgalliens, wie auch die Überlieferung des östlichen Mönchtums. Von ihr empfängt sie wichtige Impulse, Anregungen und Erfahrungen, auf ihre Bedürfnisse, Anliegen und Fragen gibt sie Antwort.

 

Über ihre Quellen ist die Regel mit den Ursprüngen und Traditionen des Alten Mönchtums verbunden: durch das Zeugnis der Heiligen Schrift, die Gründer und Leitgestalten des Mönchtums, das spirituelle Erbe des Mönchtums, bewährte eigene Erfahrungen, Lebensverhältnisse und -Strukturen der Umgebung usw. Die Regel befindet sich quasi in einem Dialog mit den verschiedenen Vertretern, die zu ihrer Ursprungs- und Vorgeschichte zählen. Das sie dabei leitende und verbindende Interesse ist im Anliegen der unverminderten Nachfolge des Herrn zu suchen.

 

Die Benediktusregel weist mittlerweile eine nahezu 1500jährige Vermittlungs- und Wirkungsgeschichte auf. Dieser Zeitraum bildet ein Stück Lebens-, Lese- und Deutungsgeschichte, die mit der Regel selber eng verwachsen ist.

Eine Brücke, die uns über alle zeitlichen, örtlichen, kulturellen, religiösen und verstehensmäßigen Abgründe hinweg mit der Regel verbindet, ist das Lebensprogramm der Gottsuche in einer Gemeinschaft von gleichgesinnten Brüdern und Schwestern. Diese Sehnsucht hat die Mönche überhaupt auf den Weg gebracht. Benedikt hat in seiner Regel die verschiedenen Erfahrungen, Antworten und Wege, die Mönche dabei gewonnen bzw. entdeckt und probiert haben, in eine exemplarische Form gebracht.

 

1. Der Regelcharakter

 

Die Benediktusregel versteht und bezeichnet sich selber als "regula", die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt und gleichzeitig nach vorne hin offen ist, also mit ihrer Fortschreibung rechnet. Als eigentliche "regula" gilt die Heilige Schrift und in Anlehnung daran entsprechende christliche Lebensanweisungen, mündliche Überlieferungen, Lebensbeispiele oder Worte eines Abbas bis hin zur schriftlich fixierten Lebensordnung eines Klosters.

Unter diesem Vorzeichen will die Benediktusregel bewusst dem Leben der Mönche dienen, Leben eröffnen und ermöglichen. Das geschieht nicht zuletzt dadurch, dass die Momente des Zufalls, der Beliebigkeit und der Willkür so weit als möglich ausgeschaltet werden und Richtlinien für ein gemeinsames Leben aufgestellt werden, die von Situationen und Personen unabhängig sind. Benedikt setzt betont auf die positive, entspannende, heilende, aufbauende und friedensstiftende Kraft der Ordnung.

Geistliches Leben setzt ein geordnetes Leben voraus. Innerhalb dieser Klammer wollen auch alle Einzelweisungen der Regel gelesen werden.

 

2. Die Schriftbezogenheit

 

Im Einklang mit der Tradition vor ihm verweist Benedikt ausdrücklich auf das „von Gott beglaubigte Wort des Alten und Neuen Testaments" als „verlässliche Wegweisung für das menschliche Leben" Seine Regel will zur Schrift nicht in Konkurrenz treten, sondern zu ihr hinführen und sich von ihr herleiten. Schrift und Regel bilden eine untrennbare Einheit. Das zeigt sich darin, dass die Regel ihre Lebensweisungen nicht selten einem Schriftwort entnimmt oder sie darauf begründend zurückführt. Zur Art und Weise, wie die Regel die Bibel liest, gehört die Beobachtung, dass sie die Schrift nicht in einem eindimensionalen Licht sieht. Diese hat für sie eine Mitte, die Evangelium heißt, und dieses kreist entscheidend um das „Reich Gottes und seine Gerechtigkeit". Die Regel will ganz und gar in der Fährte der Schrift gehen, aus ihrem Geist denkt, argumentiert, spricht und weist sie den Weg.

 

3. Die Traditionsbezogenheit

 

Benedikt räumt der mönchischen Tradition einen hohen Rang ein. Ihr zuliebe verzichtet er auf eigene Formulierungen, Meinungen und Experimente. Wenn die Regel wiederholt auf das Zeugnis der Väter Bezug nimmt, dann hat sie dabei auch die „lebenzeugende" Kraft des den Vätern eigenen Lebenswissens im Sinn. Sie setzt damit bewusst auf das Moment der Kontinuität, die dem eigen ist, was sich durch längere Zeiten und mehrere Generationen bewährt und bewahrheitet hat. Klösterliches Leben braucht Kontinuität, setzt sie voraus und baut darauf. Das trägt mit zu seiner Unabhängigkeit, Beständigkeit und Durchsetzungskraft bei und verleiht ihm eine gewisse Normativität, Neutralität und Objektivität. Im Schatten dieser Traditionsverbundenheit ist noch ein weiteres Kriterium zu sehen, das für den Autor der Regel maßgebend war: die Berufung auf die Erfahrung. Es entsteht der Eindruck, dass die Regel insgesamt durch den Filter eigener Erfahrung hindurchgegangen sein muss.

 

4. Die Christusbezogenheit

 

Die Benediktusregel erscheint als ein ausgesprochenes Christusbuch. Es finden sich in ihr unvermutet viele, teilweise verdeckte Christus-Stellen, die wie ein Netz vom Prolog bis zum Schlusskapitel die ganze Regel verbinden. Die Regel lässt sich als eine „Christus-Regel" begreifen. Als der eigentliche „Autor" der Regel gilt Christus. Es geht darin um sein Wort, seine Weisung. Er ist der „Lehrmeister" der Regel schlechthin. Benedikt versteht das Kloster als „eine Schule für den Dienst des Herrn", in der Christus die Stelle des einen Lehrers einnimmt. Er ist der Lehrer, weil er ganz und gar aus sich, seinem Wesen, seiner Gegenwart, seinem Wort und Beispiel „lehrt".

Fragt man nach dem Inhalt des Lehrens, der Lehre Christi bzw. der Regel, so verweist letztere einfach auf Christus unter der Chiffre des „Weges". Der Weg, um den alles Lehren kreist, ist der Weg der Nachfolge des Herrn, der Weg oder Lebensweg Christi, der Christusweg. Konkret ist es der Weg des Gehorsams, der Demut, der Erniedrigung als Erhöhung, der Gottesfurcht, der Verherrlichung Gottes, des Dienens, des Schweigens, der Geduld, der Ausdauer, des Leidens und der Liebe. Wann immer die Regel von diesen Verhaltensweisen spricht, haftet ihnen ein mittelbarer oder unmittelbarer Christusbezug an. In diesem christozentrischen Licht sind auch die verschiedenen Äußerungen und Aktivitäten der Regel zu sehen. Es handelt sich im Grunde um Tätigkeiten des Lehrers Christus selber, wenn es vom Wort der Regel heißt, dass es ruft, mahnt, weist, zuspricht, aufrüttelt, aufruft und zuruft, sucht, zeigt, wirkt, einlädt, antwortet usw.

Es besteht nicht der geringste Zweifel, dass der Christus der Regula in erster Linie der gegenwärtige Erhöhte, der zugleich der auferstanden Gekreuzigte und der wiederkommende Herr ist. Er ist im Geist in seiner Gemeinde und in der Geschichte präsent und am Werk. Die Gegenwart des Auferstandenen macht die „Stunde" des Mönchs aus. Der gegenwärtige Christus kommt in jenen Menschen, die den Umkreis des Klosters bilden, und in den verschiedenen Situationen des klösterlichen Alltags entgegen. Das ganze Leben eines Mönchs, sein Tun und Lassen spielen sich in der Gegenwart des Herrn ab. Der Lebensweg des Mönchs als Nachfolge Christi zielt darauf ab, die Wirklichkeit des Christus praesens lebensmäßig einzuholen und transparent werden zu lassen.

 

5. Die Taufbezogenheit

 

Monastisches Leben, wie die Regel Benedikts es schildert, weiß sich mit Nachdruck der Taufspiritualität der Alten Kirche verpflichtet. Auf diese Weise werden die Einweisung in das christliche Leben und ins Mönchsleben miteinander verbunden bzw. parallelisiert. Der im Leben des Mönchs zum Tragen kommende Ruf des Herrn steht in der Linie des in der Taufe an ihn ergangenen Anrufs Gottes. Dessen rufende Liebe bindet Taufe und monastisches Leben innerlich aneinander. Im gehorsamtätigen Hören auf den Ruf ratifiziert der Mönch seine Taufe und vollzieht lebensmäßig den Übergang vom Tod zum Leben, von Leiden und Kreuz zur Auferstehung. Eine gewisse Schlüsselstellung kommt in diesem Zusammenhang dem Kapitel 58 der Benediktusregel zu. Der Weg des Anfängers zum Mönch und zum vollwertigen Bruder, der über die Stufen der Bekehrung, der Prüfung und des Noviziates zur Profess verläuft, wird in Tuchfühlung mit den einzelnen Schritten des Katechumenats und der Taufe geschildert. Die Entsprechungen reichen bis in den Ritus und die Bestimmungen der Aufnahme hinein. Solche Anspielungen sind alles andere als zufällig. Darin drückt sich ein Selbstverständnis des monastischen Lebens aus, das sich zutiefst mit der Taufe verbunden weiß.

 

6. Die Kirchlichkeit

 

Die Liebes- und Gütergemeinschaft der Urgemeinde stellt in dm Augen Benedikts das bleibende Vorbild für alle Fragen, die das Eigentum, die Arbeit und Bedürftigkeit seiner Mönchsgemeinschaft betreffen. Charakteristisch für Benedikts Sicht des Klosters ist die Bezeichnung „Haus Gottes". Daneben kennt die Regel eine ganze Reihe von Symbol- und Gleichnisworten wie Versammlung, Herde, Schule oder Jüngerschaft, Werkstatt, Familie oder Bruderschaft, die das benediktinische Koinobion als Kirche ausweisen. In die gleiche Richtung zeigen auch verschiedene Strukturelemente, Einrichtungen und Lebensäußerungen der klösterlichen Gemeinde wie der Christusvikariat des Abtes, Vollzug und Aufbau desGotteslobes, die Fastenpraxis, die der frühchristlichen Kirche nachgebildete Organisation und Bußdisziplin, der klösterliche Profess- und Olationsritus.

Ein Mönchsleben nach der Weise der Kirche erschöpft sich nach der Meinung der Regel nicht im innerklöstterlichen Raum. Es kann kein Zweifel bestehen: Benedikts Mönche leben Kirche in der Mitte der Kirche zusammen mit allen Getauften, wie vor allem in der Gastfreundschaft sichtbar wird.

 

7. Die Geistbezogenheit

 

Die Mönche wurden in der Alten Kirche als geistbegabte Wegweiser und Geistträger betrachtet. Auch Benedikt erscheint in dieser Tradition, wenn man an das Bild denkt, das Gregor der Große von ihm zeichnet. Das für den Mönch und seinen Gehorsamsweg konstitutive Hören steht grundsätzlich unter der Klammer des Geistes. Das vom Prolog zitierte Schriftwort: "Wer Ohren hat zu hören, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!" ist gleichsam Vor-Wort zur gesamten Regel. Ohr und Stimme stellen gewissermaßen "Organe" des Geistes dar. Die Regel selber kennt ein sehr intensives und extensives Hören des Mönchs, das sowohl die Vertikale wie die Horizontale einschließt und um das Vernehmen der Stimme des Geistes kreist. Im unmittelbaren Umkreis des vom Geist geleiteten Hörens steht nicht das nicht weniger von ihm geführte Lehren, wofür neben Schrift und Regel vor allem das Wort und Beispiel des Abtes figurieren.

Ein weiterer Einflussbereich des Geistes ist das Gebet, als Sitz im Leben für den Geistruf. Als Geistgeschenk gilt schließlich die monastische Grundtugend der discretio, die nebem dem Abt den gereiften Mönch auszeichnet und die Fähigkeit in sich schließt, den Geist von Ungeist, vom Geist geschenkte Gabe bzw. Begabung von eigenwilliger Anmaßung zu unterscheiden, ein Vorgang, der das ganze Leben des Mönchs durchzieht.

 

8. Die eschatologische Ausrichtung

 

Zwischen Mönchtum und Eschatalogie (Lehre von den Letzten Dingen) beseht von jeher eine eine enge Beziehung. Das Wissen darum wird von Benedikt in das praktische oder alltägliche Leben der Mönche übersetzt und findet in entsprechenden Weisungen seinen Niederschlag. Charakteristische Stichworte belegen das: Furcht / Gottesfurcht; Bekehrung / Umkehr / Rückkehr; Rechenschaft / Gericht; Himmel / himmlisches Vaterland / ewiges Leben; Lachen / Gelächter; Tod / Verderben; Heil / Rettung / heilen / retten; Strafe / strafen; Hölle / Teufel. Der Blickwinkel, unter dem sie gesehen werden, sind die "bona opera" (guten Werke), konzentriert im Doppelgebot der Liebe. D.h.: die "letzten Dinge" gehören für die Regel in die Schule der Liebe.

Die eschatologische Ausrichtung fordert den Mönch auf, das Leben in seiner Ganzheit in den Blick zu nehmen und im Blick zu behalten. Was darin angepeilt ist, ist nicht weniger als die allmähliche und volle Entfaltung der Taufwirklichkeit unseres Glaubens, des darin eingeschlossenen Übergangs vom Tod zum Leben, von Leiden und Kreuz zur Herrlichkeit. Die Regel legt dabei den Akzent nicht auf das „Danach", sondern auf das „Jetzt". Der Mönch verdrängt das Ende nicht, sondern lebt es in der Gegenwart. Zu diesem Zweck hält er sich einerseits in der Erinnerung das eigene Versagen betend vor Augen und lernt er, hoffend sich nach dem barmherzigen Gott auszustrecken. Das alles findet seinen Ausdruck in einem äußerst wachsamen und einfühlsamen Gespür für die Zeit - tempus bzw. für das, was „an der Zeit" ist. Jeder Augenblick stellt das eschatologisch qualifizierte „Jetzt" und „Heute" dar, in dem alles und das Ganze der Gottsuche zur Entscheidung steht. Das Wissen darum verleiht auch den einfachen Dingen und alltäglichen Ereignissen einen hohen Ernst und Stellenwert, relativiert sie aber auch gleichzeitig im Hinblick auf Gott als den Letzten und Eigentlichen, auf den es zu hoffen und den es zu suchen gilt.

 

9. Der römische Hintergrund

 

Die Benediktusregel galt schon relativ früh als „römische Regel", eine Qualifikation, die nicht wenig zu ihrer Verbreitung und Anerkennung beigetragen hat. Als Mönch mit Lebenserfahrung besitzt der Autor der Regel einen nüchternen und unbestechlichen Blick für die Gegebenheiten und Belange einer klösterlichen Gemeinschaft und der einzelnen Glieder. Führungstalent, Einfühlungsvermögen, Verantwortungsgefühl und Sendungsbewusstsein lassen ihn eine Lebensordnung erstellen, die durch die Kraft der Synthese, ihre Ehrfurcht vor der Persönlichkeit und ihre unbedingte Offenheit gegenüber dem Willen Gottes überzeugt.

Dieses römische Profil der Regel gewinnt zusätzlich an Farbe und Konturen,  wenn man ergänzend das II. Buch der Dialoge Gregors des Großen ins Spiel bringt. Hier tritt uns jene römische Welt in ihrer Transparenz entgegen, die in der Regel in angemessener Zurückhaltung im Hintergrund verbleibt. 

Logo der FBBA
Logo der FBBA

Barmherziger Gott,

durch die Geburt

deines Sohnes

aus der Jungfrau Maria

hast du der Menschheit

das ewige Heil geschenkt.

 

Lass uns immer und überall

die Fürbitte der gnadenvollen

Mutter erfahren,

die uns den Urheber

des Lebens geboren hat,

Jesus Christus,

deinen Sohn,

unseren Herrn und Gott,

der in der Einheit

des Heiligen Geistes

mit dir lebt und herrscht

in alle Ewigkeit. Amen


(Tagesgebet am Hochfest

der Gottesmutter Maria

1. Januar)