Fresko im Kloster von Subiaco, Umbrien, Italien, ca. 550
Der Text wurde in Auszügen entnommen aus:
Gregor der Große: Der hl. Benedikt - Buch II der Dialoge (lateinisch-deutsch); hrsg. i.A. der Salzburger Äbtekonferenz, EOS-Verl., St. Ottilien, 1995
Aber noch bevor seine Regel in Dokumenten erwähnt wird, widmet Papst Gregor I. (+ 604) dem unbekannten Abt das zweite Buch seiner »Dialogorum Libri quattuor de miraculis Patrum Italicorum« und zeichnet das Bild seines Lebens. Dieses Werk ist die einzige Quelle über das Leben und Wirken des Mönchsvaters von Montecassino. Alle Angaben, die über Benedikt gemacht werden können, stützen sich auf die Aussagen Gregors. Danach lassen sich ungefähre biografische Daten angeben, die den äußeren Rahmen des Lebens Benedikts abstecken.
Aus diesem Bericht kann man erschließen, dass Benedikt um 480 in Nursia, dem heutigen Norcia, im umbrischen Apennin als Sohn einer freien und wohlhabenden Familie geboren wurde. Zum Studium wurde er nach Rom geschickt. Dort spürte er die Berufung zum Mönchtum, die er in mehreren Schritten verwirklichte. Er brach seine Studien ab und begab sich nach Effide (Affile). Von dort zog er sich in eine Höhle bei Subiaco zurück, wo er drei Jahre lang eremitisch lebte. In Subiaco sammelten sich Mönche um ihn, die er auf zwölf kleine Klöster unter seiner Leitung verteilte. Im Jahr 529 zog Benedikt der Tradition nach von Subiaco mit einigen wenigen Mönchen fort auf den Montecassino, wo er ein Kloster gründete, das der Ursprungsort des abendländischen Mönchtums wurde. Hier schrieb er während mehrerer Jahre seine Mönchsregel, die im Abendland bis zum Hohen Mittelalter als einzige Klosterregel Gültigkeit hatte. Die von Gregor geschilderte Begegnung Benedikts mit dem König der Ostgoten, Totila (541-552), weist in eine Zeit, die sich durch ihre politische Situation gut belegen lässt.
Das Todesjahr Benedikts kann nicht genau festgelegt werden. Traditionell wird das Jahr 548 angenommen, aber gute Gründe sprechen für ein späteres Datum, etwa um 560. Bald nach seinem Tod wurde Montecassino um 575 von den Langobarden erobert. Die Mönche wurden vertrieben und flüchteten nach Rom. Dort kann Gregor der Große ihre Gemeinschaft kennengelernt und von Benedikt und seiner Regel erfahren haben. Erst 718 kehrten Mönche auf den Montecassino zurück.
Wie kaum ein anderes Werk hat das zweite Buch der Dialoge Gregors des Großen mit dem »Leben Benedikts« die Spiritualität des benediktinischen Mönchtums durch Jahrhunderte beeinflusst. Die Bedeutung dieses Buches ist kaum zu überschätzen, ist es doch eines der am weitesten verbreiteten und am häufigsten gelesenen Werke in den Klöstern gewesen.
Auf Bitten seiner Hausgenossen im päpstlichen Palast, Mönchen und Klerikern, schrieb Gregor Beispiele -»exempla«- heiligmäßigen Lebens in Italien nieder, zu denen auch das Leben Benedikts gehört. Die Lebensgeschichte Benedikts ist somit nicht im Sinn einer modernen Biografie zu verstehen und auch nicht als Quelle, die historisch-kritischem Denken genügen will. Zu vielfältig sind die hagiographischen Topoi, die Gregor verwendet, und zu zahlreich die Parallelen aus der altkirchlichen Vitenliteratur, die er mit Benedikt verknüpft. Gregor schließt vielmehr die Grundmuster und Einzelthemen altchristlicher Hagiographie an den Abt von Montecassino an, weil ihn ein ganz bestimmtes pastorales und spirituelles Interesse mit dieser Gestalt verbindet.
Doch entstammt Benedikt nicht einfach einer Fiktion, sondern Gregor findet in ihm einen Menschen, der so gelebt hat, dass sich an ihn die Vorstellungen christlicher Heiligkeit anbinden lassen. Am Anfang steht der Mensch Benedikt, der glaubwürdig als Christ und Mönch lebte und dessen Leben aus diesem Grund in den Kategorien altkirchlicher Heiligkeit gedeutet werden kann. Gerade deswegen sind für Gregor die Zeugen wichtig, die er über das Leben Benedikts befragt und zu Wort kommen lässt, insbesondere die vier Äbte, die er zu Beginn des zweiten Buches namentlich benennt (Prol.2).
Gregor lagen Erzählungen und Erzählfragmente vor, die bereits mit der Gestalt Benedikts biografisch verknüpft waren. Dabei findet sich authentisches Material, wie es z.B. beim Sterben im Stehen erkennbar wird, oder durch Lokaltraditionen, wie etwa in Effide, Subiaco und Montecassino, überliefert wurde. Diese vorhandenen Erzähltraditionen gestaltet Gregor mit seinen eigenen Intentionen und den traditionellen Topoi zu einem durchkomponierten Werk mit spirituellem Duktus, das die altkirchliche Hagiographie zu ihrem Abschluss bringt.