3. Kapitel

Scheitern in Vicovaro

 

(II,3,1)

GREGOR: Als die Versuchung gewichen war, konnte die Saat der Tugenden wachsen, und der Mann Gottes brachte reiche Frucht wie von Dornen gereinigtes bearbeitetes Land. Der Ruf seiner beispielhaften Lebensweise breitete sich aus, und sein Name wurde berühmt.

 

(II,3,2)

Nicht weit entfernt lag ein Kloster; der Abt dieser Gemeinschaft war gestorben. Alle Brüder kamen nun zum ehrwürdigen Benedikt und baten ihn inständig, er möge ihr Oberer werden.

Er lehnte ab, sträubte sich lange und sagte ihnen voraus, dass ihre Lebensweise mit der seinen nicht zusammenpasse. Schließlich gab er ihren Bitten nach und sagte zu.

 

(II,3,3)

In diesem Kloster achtete er auf ein Leben nach der Regel, so dass keiner mehr wie früher durch unerlaubtes Handeln vom Weg des klösterlichen Lebens nach rechts oder links abweichen durfte.

Da gerieten die Brüder, deren Leitung er übernommen hatte, in sinnlose Wut. Sie begannen, sich Vorwürfe zu machen, dass sie ihn gebeten hatten, ihr Vorsteher zu sein. Ihre Verkehrtheit stieß sich an seiner Geradheit. Sie sahen nun, dass unter ihm Unerlaubtes unerlaubt blieb, und es schmerzte sie, von ihren Gewohnheiten lassen zu müssen. Hart kam es sie an, dass sie in ihrer alten Gesinnung gezwungen wurden, Neues zu lernen; ist doch das Leben der Guten für Menschen mit schlechten Sitten immer unbequem. Deshalb suchten sie nach einer Gelegenheit, ihn umzubringen.

 

(II,3,4)

Sie berieten miteinander und mischten dann Gift in den Wein. Als das Glas mit dem vergifteten Trank nach dem Brauch des Klosters bei Tisch dem Abt zur Segnung gebracht wurde, streckte Benedikt die Hand aus und machte das Zeichen des Kreuzes. Auf dieses Zeichen hin zerbrach das Glas, das in einiger Entfernung gehalten wurde, als hätte er nicht das Kreuz gemacht, sondern einen Stein auf das Gefäß des Todes geworfen.

Sofort erkannte der Mann Gottes, dass darin ein todbringender Trank gewesen war, weil das Glas das Zeichen des Lebens nicht hatte ertragen können. Da erhob er sich, rief die Brüder zusammen und sagte mit friedfertigem Blick und gelassenem Sinn: »Der allmächtige Gott erbarme sich euer, Brüder. Warum habt ihr mir das antun wollen? Habe ich euch nicht vorher schon gesagt, dass eure und meine Lebensweise nicht zusammenpassen? Geht und sucht euch einen Abt nach eurer Art. Denn nach allem, was geschehen ist, könnt ihr mich nicht mehr halten.«

 

Rückkehr in die Einsamkeit

 

(II,3,5)

Dann kehrte er an die Stätte seiner geliebten Einsamkeit zurück. Allein, unter den Augen Gottes, der aus der Höhe hernieder schaut, wohnte er in sich selbst.

 

Über das Wohnen in sich

 

PETRUS: Es ist mir nicht ganz klar, was das bedeutet: »Er wohnte in sich selbst.«

GREGOR: Hätte der heilige Mann die Brüder, die sich einmütig gegen ihn verschworen hatten und deren Lebensweise sich von der seinen sehr unterschied, lange unter Zwang führen wollen, so hätte er vielleicht seine Kräfte überfordert, die innere Ruhe verloren und das Auge seines Geistes vom Licht der inneren Schau abgewandt. Wenn er, Tag für Tag von ihrer Unverbesserlichkeit ermüdet, weniger auf sich selbst geachtet hätte, dann hätte er vielleicht sich selbst verloren, ohne die anderen zu finden.

Sooft wir nämlich durch die Unruhe der Gedanken zu sehr aus uns herausgeführt werden, sind wir zwar noch wir selbst, aber nicht mehr in uns selbst; denn wir verlieren uns selbst aus dem Blick und schweifen anderswo umher.

 

(II,3,6)

Können wir sagen, dass jener junge Mann in sich war, der in ein fernes Land zog, das erhaltene Erbteil verschwendete, sich dort einem Bürger aufdrängte und die Schweine hütete? Er musste zusehen, wie die Schweine Schoten fraßen, während er hungerte [vgl. Lk 15,11-16]. Da erinnerte er sich an das Gut, das er verloren hatte, wie es in der Schrift heißt: »Er kehrte in sich selbst zurück und sagte: Wie viele Tagelöhner haben im Haus meines Vaters Brot im Überfluss« [vgl. Lk 15,17]. Wenn er also in sich gewesen wäre, woher ist er dann zu sich zurückgekehrt?

 

(II,3,7)

Darum also wollte ich sagen: Der heilige Mann wohnte in sich Selbst, weil er stets wachsam auf sich achtete, sich immer unter den Augen des Schöpfers sah, sich allezeit prüfte und das Auge des Geistes nicht außerhalb seiner selbst umherschweifen ließ.

 

(II,3,8)

PETRUS: Was bedeutet es, was über den Apostel Petrus geschrieben steht, als er von einem Engel aus dem Kerker herausgeführt wurde: »Da kehrte er zu sich selbst zurück und sagte: Nun weiß ich wahrhaftig, dass der Herr seinen Engel gesandt hat, um mich der Hand des Herodes und aller Erwartung des Volkes der Juden zu entreißen« [Apg 12,11].

 

(II,3,9)

GREGOR: Auf zweifache Weise, Petrus, werden wir aus uns herausgeführt; entweder sinken wir durch schlechte Gedanken unter uns hinab, oder wir werden durch die Gnade der inneren Schau über uns hinausgehoben.

Jener, der die Schweine hütete, war durch das Umherschweifen und die Unreinheit des Geistes unter sich hinabgesunken; dieser aber, den der Engel befreite und dessen Geist er in Verzückung versetzte, war zwar außer sich, wurde aber doch über sich erhoben. Beide kehrten zu sich zurück, jener, indem er sich aus seinen Verirrungen wieder dem Herzen zuwandte, dieser, indem er vom Gipfel der inneren Schau zur früheren, alltäglichen Erkenntnisweise zurückkehrte.

Der heilige Benedikt wohnte also in sich Selbst, soweit er über seine Gedanken wachte. jedes Mal aber, wenn die Glut der Kontemplation ihn in die Höhe fortriss, ließ er sich ohne Zweifel unter sich zurück.

 

(II,3,10)

PETRUS: Was du sagst, leuchtet mir ein; aber bitte antworte mir: Durfte er die Brüder verlassen, deren Leitung er einmal übernommen hatte?

GREGOR: Meiner Meinung nach, Petrus, muss man die Gemeinschaft schlechter Menschen gelassen ertragen, wenn sich einige gute finden, denen man helfen kann. Wo es aber überhaupt keine Guten gibt, die Frucht bringen, wird auch die Mühe um die Schlechten irgendwann überflüssig, vor allem dann, wenn es in der Nähe Voraussetzungen gibt, die bessere Frucht für Gott versprechen. Um wen hätte sich also der heilige Mann, wenn er ausgeharrt hätte, kümmern sollen, da ihn doch alle einmütig verfolgten?

 

(II,3,11)

Bei vollkommenen Menschen reift oft der Entschluss - das sollte man nicht verschweigen -, an einem anderen Ort mit Aussicht auf Erfolg an die Arbeit zu gehen, wenn sie die Erfolglosigkeit ihrer Mühe erkennen. So sehnte sich auch Paulus, der große Verkünder des Helles, danach, aufzubrechen und bei Christus zu sein; denn Christus war ihm Leben und Sterben Gewinn. [Phil 1,23.21] Er verlangte nicht nur selbst nach Kämpfen und Leiden, sondern begeisterte auch andere, sie geduldig zu ertragen. Dennoch beschaffte er sich bei der Verfolgung in Damaskus Seil und Korb und wollte heimlich von der Mauer herabgelassen werden, sobald er aus der Stadt fliehen konnte [vgl. Apg 9,24-25; 2Kor 11,32-33]. Können wir nun sagen, Paulus habe sich vor dem Tod gefürchtet, den er doch, wie er selbst bezeugt, aus Liebe zu Jesus ersehnt hat? Nein, aber da er sah, dass er dort wenig Erfolg und viel Mühe haben werde, rettete er sein Leben, um an einem anderen Ort mit Erfolg zu arbeiten. Denn der tapfere Streiter Gottes wollte nicht hinter Mauern festgehalten werden, sondern suchte den Kampf auf freiem Feld.

 

(II,3,12)

Wenn du aufmerksam zuhörst, wirst du bald verstehen, dass es sich so auch mit dem ehrwürdigen Benedikt verhalten hat. Er blieb am Leben und verließ die Unbelehrbaren, anderswo aber erweckte er viele vom geistigen Tod.

PETRUS: Deine Erklärung ist richtig. Das beweisen die klare Begründung und das treffende Zeugnis der Schrift. Aber ich bitte dich, erzähle, was im Leben des großen Abtes weiter geschehen ist.

 

Die ersten Klostergründungen

 

(II,3,13)

GREGOR: In der Einsamkeit wuchs der heilige Mann in der Tugend und tat immer größere Zeichen. Es sammelten sich dort bei ihm viele Menschen, um dem allmächtigen Gott zu dienen.

So ließ Benedikt mit der Hilfe des allmächtigen Herrn Jesus Christus zwölf Klöster errichten. In jedes Kloster schickte er zwölf Mönche und setzte für jede Gemeinschaft einen Abt ein. Nur wenige Mönche behielt er bei sich, die nach seinem Urteil für seine persönliche Leitung und Weisung besonders empfänglich waren.

 

(II,3,14)

Da kamen erstmals auch vornehme und fromme Römer zu ihm und brachten ihre Söhne, damit er sie für den allmächtigen Gott erziehe. Euthicius übergab ihm seinen Sohn Maurus, der Patrizier Tertullus seinen Sohn Placidus. Beide berechtigten zu großen Hoffnungen. Maurus war noch jung, hatte aber schon einen reifen Charakter und wurde bald der Helfer des Meisters; Placidus hingegen war fast noch ein Kind.

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Barmherziger Gott,

durch die Geburt

deines Sohnes

aus der Jungfrau Maria

hast du der Menschheit

das ewige Heil geschenkt.

 

Lass uns immer und überall

die Fürbitte der gnadenvollen

Mutter erfahren,

die uns den Urheber

des Lebens geboren hat,

Jesus Christus,

deinen Sohn,

unseren Herrn und Gott,

der in der Einheit

des Heiligen Geistes

mit dir lebt und herrscht

in alle Ewigkeit. Amen


(Tagesgebet am Hochfest

der Gottesmutter Maria

1. Januar)