Die unversehrte Ölflasche
(II,28,1)
Zur selben Zeit wurde Kampanien von einer schweren Hungersnot heimgesucht. Der Mann Gottes hatte alle Vorräte des Klosters an verschiedene Notleidende verteilt, so dass fast nichts in der Vorratskammer zurückgeblieben war, nur ein wenig Öl in einer Flasche.
Da kam der Subdiakon Agapitus und bat inständig darum, man möge ihm etwas Öl geben. Der Mann Gottes war fest dazu entschlossen, auf Erden alles auszuteilen, damit alles aufbewahrt sei im Himmel. Darum befahl er, man solle die Bitte des Subdiakons erfüllen und auch den Rest des Öls geben, der noch übrig war. Der Mönch, der für die Vorratskammer zuständig war, hörte zwar den Auftrag, zögerte aber, ihn auszuführen.
(II,28,2)
Kurz darauf fragte Benedikt, ob er gegeben habe, was ihm befohlen war. Der Mönch antwortete, er habe es nicht gegeben; denn wenn er dies hergäbe, bliebe für die Brüder überhaupt nichts mehr.
Da geriet Benedikt in Zorn und befahl anderen Brüdern, sie sollten jene Flasche, in der noch das wenige Öl war, zum Fenster hinauswerfen. Durch Ungehorsam sollte nichts im Kloster bleiben. So geschah es. Unter dem Fenster war ein gewaltiger Abgrund mit Felsvorsprüngen. Die Flasche fiel auf die Felsen, blieb aber so unversehrt, als wäre sie überhaupt nicht hinabgeworfen worden. Sie zerbrach nicht, und das Öl war nicht verschüttet.
Der Mann Gottes befahl nun, sie aufzuheben und unversehrt, wie sie war, dem Subdiakon zu geben. Anschließend ließ er die Brüder zusammenkommen und wies den ungehorsamen Mönch in Anwesenheit aller zurecht wegen seines Unglaubens und seines Stolzes.